Koerper auf Messers Schneide
出处: Die Zeit
Der Zeitgeist spielt den Schönheits-Chirurgen in die Hände: Auch junge Menschen wollen ihr Äußeres verändern – und dafür Geld ausgeben
Wer schön sein will, muss leiden, das war schon bei den alten Inkas so: Kindern wurden kleine Holzbretter an den Schädel angepasst und mit einer Art Schraubzwinge zusammengepresst. Der Kopf sollte in eine längliche Form gebracht werden, da dies als Zeichen für Schönheit und die Zugehörigkeit zu einer höheren Kaste galt.
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Die Torturen, die sich Menschen heute in reichen Ländern antun, um attraktiver auszusehen, sind zwar ausgefeilter als die der alten Inkas. Doch die Eingriffe können ebenfalls drastische Auswirkungen haben. Da werden Himmelfahrtsnasen in Form gebracht, Hängebrüste zu Airbags aufgeplustert, und Lippen, die dem Mund das Aussehen einer Spardose verliehen, verwandeln sich in füllige Kuss-Polster. Die Medizin und ihre schillerndste Disziplin, die plastisch-ästhetische Chirurgie, machen es möglich: Das Sein wird zunehmend vom Design bestimmt – einerseits.
Andererseits sind Korrekturen häufig einfach erforderlich. Bei Patienten mit fliehendem Kinn etwa – durch Rückverlagerung des Unterkiefers haben sie einen zu engen Rachenraum und bekommen so Atemprobleme beim Schlafen. Andere Patienten mit Kieferfehlstellungen können kaum feste Nahrung zu sich nehmen, weil die Zahnreihen nicht richtig schließen. In diesen Fällen wird das Gesicht nach der Operation nicht nur "schöner", die Patienten gewinnen auch Lebensqualität, weil sie sich wieder normal ernähren können.
Wie viele Chirurgen sich dem medizinisch Notwendigen und wie viele dem schönen Schein verschrieben haben, lässt sich schwer sagen. Unbestritten ist: Die Branche boomt. In den USA unterziehen sich jährlich mindestens 100 000 junge Menschen einer Schönheitsoperation. In Deutschland sind es um die 40 000 jährlich. Die entsprechenden Fachgesellschaften geben noch weit höhere Zahlen an. Um 25 Prozent ist die Häufigkeit der Eingriffe in den vergangenen zehn Jahren gestiegen. Da immer mehr Menschen mit ihrem Körperbild unzufrieden sind, scheint das Wachstumspotenzial der Branche unermesslich. Bereits heute machen die 15- bis 25-Jährigen rund 25 Prozent der Kundschaft aus.
Nach Umfragen können sich ein Zehntel der Frauen und fünf Prozent der Männer in Deutschland vorstellen, eine Operation durchführen zu lassen. Noch liegen die Frauen an der Spitze, nur 15 Prozent der Eingriffe entfallen auf das starke Geschlecht. Doch die Männer holen auf – der Karriere wegen. Wer gut aussieht, dem öffnen sich die Türen leichter. Flacher Bauch, breite Brust und energisches Kinn versinnbildlichen bei Männern den Weg zum Erfolg. Erst liften, dann loften, lautet das Motto.
Wer nicht gleich unters Messer will, kann es zunächst mit kleineren Eingriffen versuchen. Enormen Zulauf hat etwa die "Lunchtime"-Behandlung zur Faltenglättung. Etliche Amerikaner und immer mehr Deutsche lassen sich in der Mittagspause Botulinum-Toxin unter die Haut spritzen. Dabei handelt es sich um einen der stärksten biologischen Giftstoffe überhaupt, der von Bakterien produziert wird. Er wurde seit den achtziger Jahren zur Schielbehandlung und bei Kindern mit spastischen Bewegungsstörungen eingesetzt. Da "Botox" die Muskeln nahe der Injektionsstelle für Wochen lahm legt, wird es auch zur kosmetischen Korrektur von Falten verwendet. Mehr als eine Million solcher Injektionen ließen sich Amerikaner letztes Jahr setzen. Nachteil: Die Prozedur muss alle paar Monate wiederholt werden. Neben diesen kleineren Eingriffen stehen auf der Schönheitswunschliste ganz oben: Fettabsaugen plus Bauchstraffung (40 Prozent), gefolgt von Lifting (25 Prozent), Nasen- und Brustkorrektur.
Und die plastisch-ästhetischen Chirurgen selbst? Sie kämpfen um das Image ihres Fachgebiets und wollen den Ruf ihrer Disziplin verbessern. Schließlich dienen die operativen Eingriffe nicht nur dazu, alternde Filmdiven zu liften. Vielmehr geht es häufig darum, Menschen eine Perspektive zu geben, die eine Leidensgeschichte hinter sich haben. Dazu kann auch die Fettentfernung bei einer verzweifelten Frau gehören, die allen Diäten zum Trotz ihre reithosenförmigen Hüftpolster einfach nicht losbekommt. "Wir bieten Patienten Dienstleistungen an, damit es ihnen besser geht", entgegnet etwa der plastische Chirurg Nicolas Lüscher auf die ständigen Vorwürfe, Einheitsmenschen zu erschaffen. "Psychotherapeuten wirft ja auch niemand vor, mit ihrer Behandlung Hochbegabte zu erzeugen."
Skalpell-Safari im Urlaub
Auch Martin Haug schneidet an den Brüsten von Frauen herum. An den Brüsten von Frauen mit Krebs. Er versucht, den Frauen ihre natürliche Silhouette wiederzugeben, wenn Gewebe entfernt oder die ganze Brust abgenommen wurde. Haug ist Oberarzt für Plastische Chirurgie an der Universitätsklinik Basel. "Der Wunsch, wieder Busen zu haben, hat nichts mit Eitelkeit, sondern mit dem Wunsch nach körperlicher Integrität zu tun", sagt er. Vom Alter ist das unabhängig. "Es geht den Frauen um die Wiedergewinnung ihres Körperbildes – und dabei kann die Chirurgie helfen."
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Warzenhof und Nippel seien übrigens das geringste Problem, erklärt Haug. Die Rekonstruktion der Brustwarze aus der kleinen Schamlippe oder Leiste habe sich nicht bewährt. Heute sei man dazu übergegangen, die Brustwarze zu formen – "Das ist ein bestimmtes Schnittmuster in der Haut". Anschließend wird die dunkle Farbe auftätowiert. Für viele Brustkrebspatientinnen sind die Nähkünste der plastischen Chirurgen ein kleiner Lichtblick. "Die Frauen möchten wieder etwas im BH haben, das ihres ist", sagt Haug, "keine Prothesen, keinen Ersatz."
Diese Arbeit ist wichtig, zweifellos. Diskreditiert sieht sich die Branche dennoch von Kollegen, die sich allein dem schönen Schein verschrieben haben. Kliniken, die eher Hotelkomplexen gleichen, in denen Stars, Sternchen und Gutbetuchte logieren. Selbst wenn sie nach herkömmlichen Maßstäben bereits mit Traumfigur oder Waschbrettbauch ausgestattet sind, ist da noch ein Gramm zu viel oder hier noch ein Merkmal zu wenig – getreu dem Motto: "No body is perfect!" Therapeuten kennen die wahnhafte Unzufriedenheit mit dem eigenen Äußeren bereits als "körperdysmorphe" Störung in einer überalterten Gesellschaft, die nicht älter werden will. Und so werden Gutscheine für Nasenoperationen an Teenager verschenkt. Greise lassen sich ihre Benutzeroberfläche zur uniformen Grimasse aufpolieren.
Michael Jackson hat sich mehr als 30-mal operieren lassen, um die Merkmale seiner afroamerikanischen Herkunft zu verbergen. Cher hat ebenfalls mehrfach Eingriffe für die Schönheit über sich ergehen lassen. Doch was verheißen die optimierten Antlitze noch? Woran wäre Lothar Späth zu erkennen, wenn sein verkniffener Mund plötzlich mit, sagen wir, Mick Jaggers Lippen ausstaffiert wäre? Was wäre Michael Schumacher ohne sein dominantes Kinn, Derrick ohne Tränensäcke, und wie sähen Prinz Charles oder Hans-Dietrich Genscher mit normal großen Ohren aus?
Ein Tabu bleibt die Schönheitsoperation dennoch. Auch wenn sich jüngst mehr oder weniger Prominente wie Sabrina Setlur, Uwe Ochsenknecht oder die Kessler-Zwillinge zu ihren chirurgischen Nachbesserungen bekannt haben, soll der Eingriff in der Regel unbemerkt bleiben. Der neueste Trend ist daher die Operation im Urlaub. Besonders beliebt ist Südafrika. Bei der "Skalpell-Safari" geht es erst auf den OP-Tisch, dann in die Nationalparks. Da der medizinische Standard im Land zumindest in Privatkliniken hoch ist, haben Veranstalter bereits All-inclusive-Pakete geschnürt. Der Zweiwochentrip mit Operation, Vor- und Nachbetreuung, Aufenthalt im Hotel und Safari ist für weniger als 12 000 US-Dollar zu haben
Mit all den Zusatzleistungen ist das günstig im Vergleich zu deutschen Preisen. Für eine Nasenkorrektur werden hierzulande 8000 bis 10 000 Mark veranschlagt, Fettabsaugen und Straffung der Bauchdecke kann bis zu 15 000 Mark kosten. Lifting an Gesicht und Hals ist zumeist noch teurer. Ein weiterer Nebeneffekt: Wenn die Bekannten zu Hause bemerken, wie gut erholt man aussieht, führen sie das auf den Urlaub zurück – und kaum auf die einschneidenden Veränderungen.
Noch boomt also die Branche der Schönheitschirurgen. Doch schon predigen Modeschöpfer das Abweichende als Ideal. Magazine zeigen Models mit Macken und Defiziten. Film und Fernsehen verlangen nach "echten Typen". Wer weiß, vielleicht suchen Menschen ja demnächst Chirurgen auf, weil sie ihr Gesicht zu glatt und symmetrisch finden und sich auffälligere Züge wünschen. So gesehen, auch wieder ein Zukunftsmarkt.
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